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U, E, Kopfweg (3): Der Unterhaltungsliterat

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Uuuuuuh …  ist ein schwieriger Fall.

Die Unterhaltungsliteratur grenzt sich bekanntlich von der Hochliteratur (E) und der Trivialliteratur (TL) ab, aber auch innerhalb der U-Literatur gibt es Abstufungen.

Grob gesagt: Die U reicht von Genre bis gehobene Unterhaltung.

Wobei sich dann direkt im Anschluss die Frage stellt, wie hoch man Unterhaltung heben muss, damit sie zur Hochliteratur wird (und was Verkaufszahlen damit zu tun haben.)

Ich hab da mal was vorbereitet:

 

Man orientiere sich im Folgenden bitte am (völlig wertfreien) Pfeilchen.

Thema (Gegenstand der Erzählung): Genreliteratur ist in ihren Vorgaben der TL nicht unähnlich und eine Wissenschaft für sich. Ein Krimi ist ein Krimi und ein Thriller ein Thriller. Historischer Roman, Liebesroman, Chick-Lit. Für alles gibt es spezifische Erwartungen und hält man die Genregrenzen nicht ein, erschwert das die Verlegbarkeit drastisch.

Je gehobener die U ist, um so freier ist man in der Themenwahl und in der Struktur der Erzählungen ( Perspektivwechsel, Rückblenden, komplexe Nebenhandlungen). Grundsätzlich kann man sagen: U-literarisch kann jedes Thema sein, solange es nur eine Geschichte enthält und wenn möglich eine unterhaltsame.

Gemeinsam ist der gesamten U, dass sie handlungsgetrieben ist. Die Basis ist eine spannende, lustige, absurde, fantastische Geschichte, mit einem Protagonisten, einem Antagonisten und einem Konflikt. Der Konflikt sollte früh kommen.

Regeln: Neben den Genregrenzen gibt es weitere Regeln, die ein U-Literaturautor kennen sollte. Sie vollständig aufzuführen übersteigt den Rahmen dieser Kolumne.

Wieder gilt aber: je weiter links (also je näher an der TL) sich die U bewegt, um so vielfältiger und starrer sind die Regeln. Ein Krimi muss in der dritten Person erzählt werden, Chick-Lit eher in der Ich-Form. Szenisches Schreiben ist IN, der auktoriale Erzähler OUT.

Viele Vorschriften lassen sich den gängigen Schreibratgebern entnehmen. Wobei eine Warnung am Rande: Das Befolgen von Regeln gibt keine Garantie für gute Texte. Und: Regeln spiegeln den Zeitgeist, nicht etwa ewig währende edle Wahrheiten.

Stil: Die Sprache ist zurückgenommen. Im Vordergrund steht die Handlung.

Was soll das nun wieder bedeuten, zurückgenommene Sprache?

Der Erzählton ist nicht markant, er ist nicht Träger des Textes. (Und das ist einer der wesentlichen Unterschiede zur E). U-Texte sollen schnell erfassbar (leicht lesbar) sein, ein hohes Erzähltempo haben, der Leser mühelos der Handlung folgen können. In der U gibt es Regeln für die optimale Satzlänge ebenso wie für die Interpunktion. Die U setzt Anführungszeichen bei wörtlicher Rede, folgt der gängigen RS und kommt weitgehend ohne Semikolon aus.

Im Genre steht ein eigenständiger Ton des Autors, ein persönlicher Stil, einem Verlagsvertrag eher im Wege. Genreliteratur soll eine gewisse Vertrautheit für den Leser ausstrahlen, er soll bekommen, was er erwartet.

Je gehobener die U ist, um so eher darf bzw. soll der Autor am Wort erkennbar sein. Vergleiche: Regionalkrimis von Gmeiner und Ingrid Noll*.

Wichtig: im Gegensatz zur TL (Stichwort: bebender Busen) darf U sich nicht der Mittel des Kitschs bedienen. U-Sprache ist schlicht (bis elegant), aber nicht trivial oder kompliziert.

Faustregel: das Lesen artet nie in Arbeit aus.

Figuren: In der TL sind die Figuren Abziehbilder, ohne tiefgehende oder komplexe Charakterzüge. In der E sind die Figuren individuelle, einzigartige Wesen, u.U. widersprüchlich, kompliziert und nicht leicht zu erfassen. In der U sind sie alles dazwischen.

Je weiter man sich auf dem Pfeil nach rechts bewegt, um so komplexer und unerwarteter dürfen die Figuren sein, jedoch wird durchgehend vom Protagonisten erwartet, dass er sympathisch ist und ein hohes Identifikationspotential hat. (Und der Antagonist eben das Gegenteil ist.) Unsympathische Züge beim Prota sind ein großes Risiko, will man verlegt werden.

Die Motive der Figuren müssen deutlich werden. Sie sollen für den Leser (leicht) erkennbar und nachvollziehbar sein. Der Spielraum reicht zwar von Küchenpsychologie bis komplexe innere Dramen, aber dennoch: es gibt immer ein Motiv, das Motiv ist logisch und verständlich.

Recherche: Wie genau ein Roman recherchiert, wie stimmig er in den Details sein muss – hängt wieder vom Pfeilchenstandort ab.

Als Bsp. sei der weit verbreitete Mittelalterroman gewählt. Nah an der TL geht es weniger um Fakten und Wahrheiten, da genügt das Histo-Gefühl. Irgendwo zwischen Mittelaltermarkt und Gruselkabinet. In der gehobenen U dagegen wird historische Genauigkeit (gerade auch vom Leser) erwartet und eine entsprechende Recherchetiefe ist Voraussetzung für Erfolg.

Chancen auf Verlagsvertrag:  Im Genrebereich gar nicht mal so schlecht – vorausgesetzt man beherrscht einigermaßen das Handwerk und trifft den Trend.

Verlage haben Verlagsprogramme. Und es wird verlegt, was da hineinpasst. Man kann sagen, dass die U Trends unterworfen ist und das, was in den Buchhandlungen ausliegt, schon wieder nicht mehr gefragt ist.

Der Zyklus ist ungefähr folgender: Ein Liebesroman spielt in Thailand, die Protagonistin hat ALS. Dieser Roman hat nun nennenswerten Erfolg – daraufhin wird es sehr schnell, sehr viel Me-Toos geben. Romane, die ebenfalls irgendwo in Asien spielen, zur Abwechslung mal Hirntumor oder Epilepsie thematisieren, aber eben genau das gleiche Strickmuster haben. Ein Jahr, zwei später ist das Thema verbrannt oder weder Asien noch tödliche Krankheiten sind noch verkaufbar.

U ist Handwerk und Kenntnis des Marktes. Wer bestehen möchte, muss seinen Spielplatz kennen und konsequent die Erkenntnisse umsetzen. Hinweise von Agenturen und Verlagen (so man das Glück hat, solche Rückmeldungen schon vor Vertrag zu bekommen) sollten ernst genommen und als Hilfe betrachtet werden – nicht als Eingriff in die künstlerische Freiheit.

In der gehobenen U liegen die Chancen zur Veröffentlichung irgendwo um den Nullpunkt. Je individueller Literatur ist, um so schwerer ist sie im Markt zu platzieren, um so höher ist das Risiko für Verlage. Entsprechend wenige Programmplätze für Neuautoren gibt es. Oft führt der Weg hier über Kleinverlage (und Veröffentlichungen in/durch andere Medien, wie Zeitschriften, Wettbewerbsgewinne), die Autoren aufbauen, bis ihre Bekanntheit für Großverlage ausreichend ist.

Sich als U-Autor zu etablieren, ist – auch wenn es immer die Ausnahmen sind, die wahrgenommen und thematisiert werden – ein langer Weg, der Konsequenz und Fleiß fordert.

Fazit: U schreibt für Publikum. Zu verstehen, wie Geschichten erzählt sein müssen, damit sie Massen begeistern, ist elementar. Für die gesamte U.

U ist Handwerk, Handwerk kann erworben werden. Aber im Gegensatz zur TL, die in engen Schablonen arbeitet, hat (insbesondere die erfolgreiche) U-Literatur immer auch etwas, das sie von allen anderen unterscheidet.

Dieser schmale Grat zwischen bedienen der Erwartungen und überraschenden, neuem, herausragenden Elementen – das ist die Kunst der U.

 

 

 

 

* Hier besteht die Gefahr, dass die ersten empörten Rufe kommen: ‚Wo ist Ingrid Noll denn gehobene U? Schön, bitte – dann eben Henning Mankel.

 

 

 


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